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Portugal-Highlights

Markttag in Espinho

Auf die im Ort laut gestikulierenden Parkeinweiser reagiert Bazou unwirsch in Hab-Acht-Stellung, ungewohnte Reize schafft er noch nicht obercool. Zu „ungewohnten“ Reizen muss auch die Geflügel-Abteilung, in die wir auf dem Markt sofort geraten, gezählt werden. Selbst wenn wir es gewollt hätten, zu Hause hätten wir das so nicht trainieren können. Hühner in Hasendrahtkäfigen in Augenhöhe sind doch eher selten zu finden. Spannend ist für Bazou, Schnauze an Schnabel zu schauen, was das Huhn so zu sagen hat, bevor es im Netz der Händlerin und später im Kochtopf der portugiesischen Hausfrau landet, die uns Staunenden in fließendem Portugiesisch und sehr gestenreich offenbar das passende Kochrezept verrät.

Wir überlegen noch, ob das für uns Unverständliche in den Erzählungen der mitteilsamen Hühnchen-Käuferin wohl die Zutatenliste für so etwas wie „Pollo portugiesisch“ gewesen sein könnte, und stehen auch schon in der nächsten Marktgasse mitten in der Heimtier-Vogel-Abteilung. Wim ist heilfroh, noch gerade abwenden zu können, dass Papageien, Sittiche und andere gefiederte Zeitgenossen sich beim Anblick von Bazou in ihren Volieren zu Tode flattern. Aber einmal im Marktgang abgebogen und drin steckend, muss man hindurch und mitfließen, denn gegen den Strom schwimmen mit Köterchen ist nicht der Brüller. Von daher tritt erst Entspannung ein, als eine ältere Dame vor Bazou auf die Knie geht, ihm völlig angstfrei etwas aus ihrem Einkaufsbeutel anbietet und er sich seinerseits galant mit einem Ohrkuss bedankt.

Die folgenden Heimtextilien verursachen wenig Aufregung, leicht flatternde Strandtücher, Spitzengardinen und rollenweise Auslegware sind für Bazou persönlich uninteressant, ebenfalls die Auslagen der Schuhhändler. An Töpferware und Kunstblumen zeigt er auch kein Interesse, was sich in der Haushaltswaren-Abteilung durch den aus der Schinken-Straße herüber ziehenden Duft explosionsartig ändert. Hier kann Wim das Schlimmste verhindern und rettet sich hoffnungsvoll mit dem Mut der Verzweiflung und Zerrungen im Oberarm samt Bazou in die nächste Abteilung „Trockenfisch“.
Wider Erwarten zeigt unser Kälbchen deutlich gesteigertes Verlangen nach dem hier fein parat liegenden Nationalgericht, dem Bacalhau, einem traditionell in Portugal eingesalzenen Kabeljau, für den es 375 Kochrezepte geben soll, den wir bisher weder farblich noch geschmacklich überzeugend kennen gelernt haben. Bazou hingegen findet großen Gefallen daran, was man auch leicht am Spiel seiner Muskeln in den breit aufgestellten Oberschenkeln der Hinterläufe bei vorgestrecktem Oberkörper erkennen kann, alles sehr zur Begeisterung der Händler. Sie biegen sich vor Lachen, als Wim den Hund mehr oder weniger gewaltsam von den Auslagen fernhalten muss. Irgendwie nehmen die Männer eine fast stolze Position ein, scheinen sich anerkennend zu erzählen, dass unser Hündchen wohl extrem guten Geschmack haben muss, da es sich deutlich zum köstlichen Bacalhau hingezogen fühlt.

Was macht man in solchen Momenten? Man grinst unbeholfen aus der Wäsche, brodelt aber innerlich und schwört sich hoch und heilig, dass dieses Tier beim nächsten Mal im Wohnmobil bleibt, aber so was von im Wohnmobil bleibt. Und schlagartig meldet sich das Gewissen und mahnt die unzureichende Erziehung zum Thema „Leinenführigkeit“ an, führt einem gnadenlos das eigene Unvermögen vor Augen. Aber man hat doch … und es klappte auch gut … ja, man hat alles Mögliche unternommen … sogar den Welpen im Einkaufswagen durch den Baumarkt geschaukelt … der ist einfach so, der ist eben lebendig, der soll so sein, man will ja keinen Stockfisch, außerdem tut der ja nix, darf das und will sowieso nur spielen.

Und schon sind wir am Ende der Salzfisch-Straße angelangt und können recht gesittet vorbei an Olivenöl-Vorräten schlurfen, ja sogar an aufgetürmten Backwaren und entkrampft durch die Topfpflanzen- und Schnittblumen-Abteilung. Siehste, geht doch. Während ich mir alleine die seelenlosen Fischleiber und Meeresgetiere auf Eis anschaue, denke ich darüber nach, wie viel einem doch herzensgute Hunde geben, aber sie nehmen auch viel. Wie groß muss die Liebe zum eigenen Hund sein, dass man ihm alles verzeiht? Riesengroß, nehme ich an, aber bei weitem nicht so groß wie umgekehrt, wie Bazous Liebe zu uns, sein Lebenszweck, sein Sinn. Bei meinem Auftauchen aus den frostigen Fischgründen freut sich Bazou jedenfalls deutlich mehr als Wim, der aber auch aufatmet, da ich den sofortigen Rückweg zum Wohnmobil anrege, dem er blitzschnell zustimmt.


Da fällt doch was vom Himmel …

Wir streifen durch die Altstadtgassen von Aveiro und finden zu unserer Überraschung Jubel und Trubel. Ein Fest zu Ehren eines Heiligen wird gefeiert mit für uns seltsam lustigen Ritualen. So ein Zufall, dass wir jetzt mitten in der Menge stehen, nicht umgekehrt sind nach dem ersten Pieseln von Bazou, sondern einfach neugierig weiter gegangen sind und das alles miterleben können.

Hoch oben vom Rundgang eines Kirchturms mitten im Ort werfen Menschen freudig etwas uns total Unbekanntes in die Luft: weiß, hart, handgroße Halbschalenform. Unten auf einem Platz versuchen Männer mit ellenlangen Keschern, dieses fliegende Etwas einzufangen. Manche gehen mit umgedrehten, aufgespannten Schirmen auf Beutezug. Irgendwie absurd und sehr komisch.
Viele Menschen sind unterwegs, Lokale und Bars leer, alles findet auf den Gassen statt. Die Menschen haben total viel Spaß, sind voller Begeisterung, alt und jung, werfen und fangen, erzählen und lachen. Säckeweise werden diese halbrunden „BH-Einlagen“ in den provisorischen Marktbuden aufgepackt, und ebenso säckeweise kaufen die Besucher ein.

Wir haben viel zu tun mit Staunen, kommen nämlich aus Selbigem nicht mehr raus. Und Bazou hat nicht minder zu tun, er bewegt sich wie ein Staubsauger übers Altstadtpflaster. Bei den Objekten seiner Begierde handelt es sich nämlich um eine Art Gebäck. Die ziemlich süßen Riesenplätzchen in „Knieschoner“-Art, die „Cavacas“, ein mit Zuckerguss überzogenes, sehr hartes Gebäck aus Mehl und Eiweiß, werden, wie uns später von einer jungen Frau in einem mit giftgrünem Gesöff lockenden Verkaufsstand erzählt, wird einfach nur als “Schnapsgläschen” verwendet, um daraus einen giftgrünen Minzschnaps oder einen Portwein zu schlürfen. Also ganz banal, aber ziemlich köstlich, da der Schnaps langsam in alle Poren des harten Kuchens eindringt und ihn aufweicht. Das auf diese Weise gut getränkte und vollgesogene Schnapsplätzchen ist schon etwas Feines, nicht täglich, aber jährlich ginge es, und, so sagt sie augenzwinkernd, man entspräche auf diesem Fest, natürlich nur der Tradition folgend, sehr dieser Art der Konsumierung, beuge sich quasi aufopferungsvoll dem alten Brauch. Jedenfalls schlägt die Begeisterung der Menschen Wellen, und der Abendhimmel hängt voller weißer Plätzchen, der morgige Tag vermutlich voller Kater auf den Gassen.

Später lese ich, dass das Fest in Aveiro eine Jahrhunderte lange Tradition hat und jedes Jahr von der Bevölkerung begeistert zu Ehren des São Goncalinho, ein Heiliger, der ziemlich rachsüchtig gewesen sein soll, am Wochenende um den 10. Januar herum gefeiert wird. Das Ganze ist, so sagt man, geknüpft an eine „Promessa“, ein Versprechen, das dem Heiligen gegeben wird, nämlich ihm als Dank für Wunscherfüllung Kuchen zu spenden. Und da ist auch die Menge vorgegeben: angeblich 25 kg pro Wunsch! Bestechung vom Feinsten! Da kann ja schon mal ganz schön was zusammen kommen. Man spricht hier davon, dass für dieses Fest 10 Tonnen Cavacas die ortsansässigen Bäckereien jedes Jahr verlassen. Eine wahnsinnige Menge für Wünsche und Wunder.

Aber auch von einem anderen Hintergrund erzählt man uns: Das Werfen und Schnappen der „Cavacas“ soll daran erinnern, dass in Zeiten der Pest die Reichen den Armen Nahrung gegeben haben und, um sich mit der Krankheit nicht anzustecken, zu diesem Zweck auf die Spitze der Kapelle kletterten und die Cavacas einfach herunter warfen in die Menge der vielen kranken Menschen.
Ob und welcher Version man glauben will, darüber können wir uns im Verlauf der weiteren Reise Gedanken machen, sofern nicht andere, neue Eindrücke alles überrollen. Wir werden sehen …


Lisboa … Zauber pur  

Einst war das wunderschöne lebendige Lissabon, das die Römer „Felicitas Julia“ nannten, nach der Entdeckung des Seewegs nach Indien durch den Seefahrer Vasco da Gama im Jahr 1497 die bedeutendste Handelsmetropole der Welt. Und sie strahlt immer noch, faszinierend, historisch und modern zugleich, wenn auch anders als damals im „goldenen Zeitalter“, als durch den Handel mit Gewürzen und vielfältigen Stoffen und Waren von weit her enorm viele Reichtümer angehäuft und damit Macht geschaffen wurde, die allerdings nach Beginn der spanischen Herrschaft und den alles zerstörenden entsetzlichen Naturkatastrophen zunichte gemacht wurde mit unermesslich großem Leid für die Bevölkerung.

Auf diesem „Nährboden“ wurzelt die auch heute noch spürbare Wehmut, die Sehnsucht nach vergangenen glücklichen Zeiten und die Hoffnung auf gute Zeiten. Diese Art „Weltschmerz“, der im ureigenen portugiesischen Musikstil „Fado“ musikalisch „bearbeitet“ wird, drückt jenes alle miteinander verbindende Gefühl aus, das die Portugiesen „Saudade“ nennen.   

Obwohl sich Lissabon mit seinen sieben Hügeln nicht gerade gut eignet, per Rad erkundet zu werden, starten wir dennoch zuversichtlich mit Bazou am Rad laufend den Versuch und radeln bei heiterem Himmel Richtung Alfama, dem ältesten Bezirk der Stadt, über die breite, belebte Promenade am Tejo entlang. Über den großen Platz hinweg durch den Arco da Rua Augusta, einen prachtvollen Triumphbogen aus dem Jahr 1875, tauchen wir im Zentrum ein und erreichen über eine der Prachtstraßen die engen Gassen der Altstadt in Richtung Miradouro St. Luzia. 

Es geht zum Teil steil bergauf, wir schieben das Rad und uns über sehr holprig gepflasterte Gässchen, durch die sich auch noch die Minibahnen quetschen. An manchen Stellen wird es echt knapp, weil mein Rad einen sehr ausladenden Lenker hat und ich schon selber an der Hauswand klebe und alles einziehe. Im Gewusel schieben sich dann auch noch Menschen aus ihren Hauseingängen rein und raus, und eine Meute Tuk Tuks stürmt todesmutig nach oben und unten, vorbei an guten und schlechten Fassaden mit Plastikblumenschmuck und Vogelkäfigen, an unzähligen Treppen nach oben und unten und plätschernden Brunnen. Sehr lebhaft und lebendig alles, trubelig schön dieses Durchstreifen der Gassen so ganz zeit- und selbstvergessen mit immer mal wieder fantastischen Ausblicken über die Dächer der Stadt und den Tejo.  

Und dazu dann so viele Menschen, die etwas über Bazou wissen wollen. Wim will schon ein Tuch über ihn werfen. Aber wir sind auch irgendwie unpassend und auffällig im Stadtbild mit unseren Rädern. Kein anderer begegnet uns mit einem Rad, keiner mit solch einem Köterchen. Andere Hunde sind ohnehin kaum zu sehen. Aber Hundeliebe ist dennoch deutlich spürbar. Wir kommen wieder in den Genuss so vieler Gespräche mit interessierten Menschen, Händler kommen aus ihren Läden und sprechen uns an, so viele Gesichter küsst Bazou, so viele Male wird er umarmt.  

Wir kehren an einem Steilstück in einem kleinen urigen Ecklokal ein, Bazou darf auf Nachfrage gerne mit, bestellen uns etwas typisch Portugiesisches. Der junge Mann serviert uns amüsiert: Kohlblätter, Kartoffeln, Möhren, Schweinefleisch, Rindfleisch, dreierlei Wurststücke, knorpeliges Schwein, Reis. Echt deftig, sehr lecker. Nachtisch hinterher, Käse und fruchtig orangenes Kürbispäppchen, dazu Brot und 1 l Wein und alles extrem günstig. Und die Straßenbahn, deren Fahrer man aus dem Fenster des Lokals problemlos ein Glas Wein anreichen könnte, ächzt direkt am Fenster vorbei steil nach oben.

Leider zieht es sich am Himmel immer weiter zu, es wird grauer, nicht blauer. Aber es macht auch nichts, wir können es nicht ändern, und es verwässert keineswegs die begeisternden Eindrücke. Saudade eben.


Tavira – mit einem Hauch von Orient

Mit jedem Schritt über das Pflaster der einst sehr bedeutsamen, heute wunderbar beschaulichen kleinen, beidseits am Ufer des bedächtig dahin flutenden Rio Gilao liegenden Stadt spürt man, sie ist eine Verführungskünstlerin und lockt mit jedem Winkel im engen Gewirr ihrer Gassen, all ihre Geheimnisse zu entdecken. Ärmel- und sockenlos schlendern wir bei bestem Wetter herum. Die Bäume zeigen die ersten Blüten, und ein irgendwie orientalischer, geheimnisvoller Zauber liegt in der Luft, besonders im maurischen Viertel mit seinen weiß gekalkten, zur Straße hin fensterlosen Häuschen mit Gittertüren aus verflochtenem Holz, die Luft und Geräusche in die Innenhöfe hinein lassen – ein Erbe der Araber, die die Gegend einst bewohnten, bevor sie nach Herrschaft der Griechen und Römer von den Portugiesen im Jahr 1242 erobert wurde und sich vor allem durch den Fischfang zu einer florierenden Stadt mit bedeutendstem Handelshafen der Algarve entwickelte.

Von der Ponte Romana, der ältesten Brücke mit ihren steinernen Gewölben und schmiedeeisernen Geländern aus dem 17. Jahrhundert, hat man einen tollen Blick auf die alten Bürgerhäuser und Stadtpaläste. Den schönsten Ausblick genießt man aber vom Burghügel der Stadt, nachdem man das Castelo de Tavira erklommen und den sehr lauschigen Burggarten erreicht hat. Prunkstück ist ein paradiesischer Baum voller hängender rosa Blütendolden, wie Hortensien. Wim, der Gärtner und Florist an meiner Seite, ist hellauf begeistert. Wir sitzen lange auf einem Mauerrest in der Sonne mit Blick auf all die roten Walmdächer, die historischen Residenzen, auf die sage und schreibe mehr als 35 Kirchen, den Fluss, die Salinen und das Meer.

Soll man es „Geheimtipp“ nennen? Ja, mit Einschränkung ganz sicher ja. Ohne Einschränkung dann, wenn man auch in den Genuss des jetzt hier hoch oben im Gemäuer erklingenden Gesangs eines jungen Mannes kommt, der sich dazu noch wundervoll mit seiner Gitarre begleitet. Ein Träumchen für ein Weilchen. Wir lauschen den schönen Melodien und sind sehr beseelt und dankbar … augenzwinkernd auch dafür, gestern kein Löwenfutter gewesen und mit dem Leben davon gekommen zu sein. 

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