Heft 1/22, Ländertipp, Premium

Polen und Litauen: Ein Stückchen östliche Welt

Wirken die Länder, besonders Litauen, auf den ersten Blick unscheinbar, so erreichen die CamperDogs-Reisereporterin Eva-Maria Grimbergen, ihr Mann Wim und die beiden Hunde auf ihrer ersten Reise in diese Richtung erkenntnisreiche, überraschende Ziele. Auf einer farbenfrohen Route rund um das geografische Zentrum Europas treffen sie auf einen »Mix«, der den besonderen Charme der einzelnen Länder ausmacht, Gedanken anstößt und Hunde- und Menschenglück pur beschert.

Im Osten nichts Neues? – Eine Frage, die wir uns stellen beim Aufbruch zu einer längeren Tour quer durch Deutschland und Polen mit Ziel Baltikum. Wie weit wir kommen, lassen wir offen. Ganz bewusst soll es in kurzen Etappen vorangehen, damit wir jedes Land wenigstens ein klein wenig kennenlernen.

Erwartungsfroh unterwegs

Nach unserer ersten Nacht am Fuße des »Monte Kali«, einer imposanten hohen Salzhalde im Bergbaurevier in Dankmarshausen am Werra-Ufer und dem nächsten Stopp hinter Erfurt in Heideland auf einem herrlichen Plätzchen auf einem Reiterhof mit Hofgut, Hofladen, Hoffleischerei und Restaurant, verbringen wir nach dem ausgiebigen und lohnenswerten »Sightseeing Dresden« eine erholsame Nacht auf dem perfekt gelegenen Parkplatz des Restaurants am Alberthafen und sammeln uns für den »Sprung« nach Polen. Auf allen drei Stationen gab es reichlich tolle Möglichkeiten in Natur, Feldern, Wiesen und Elbufer, den Hunden etwas zu bieten. Schließlich haben sie es sich verdient.

Und ab über die Grenze

Die imposante Dresdener Mühle strahlt wie frisch entstaubt in den Morgenhimmel bei unserem Aufbruch Richtung Grenzübergang hinter Görlitz. Hier besorgen wir uns, da unser Womo über 3,5 to hat, in einem eigentümlichen Container-Büro in Alleinlage an der AB eine Mautbox. Alle Formalitäten erledigt eine junge polnische Frau, blond, gestylt, im sehr kurzen, engen schwarzen Lederrock mit blassrosa Spitzentop und tadellos lackierten Nägeln. Ziemlich reizend, als wolle sie gerade in einen Klub starten, wickelt sie mit uns leicht Irritierten alles ab. Dieser jungen Frau wird man allerdings im Zuge einer Anmeldung nicht mehr begegnen, nicht weil Bazou ihr einen gehörigen Schrecken einjagt, als er ihrem sie umwabernden Parfum-Duft mit weit ausgestrecktem Hals nachschnüffelt, nein, die »Prozedur Maut« kann seit Kurzem nur noch online erledigt werden.
Für uns geht die Fahrt durchs »Neuland« Polen nun los. Die sehr moderne AB, auf der einem Anzeigentafeln die Temperaturen der Luft und sogar der Fahrbahn anzeigen, zieht sich in breiten Schneisen durch Kiefernwälder. Es herrscht kaum Verkehr, Wohnmobile sehen wir höchst selten. Manche Beschilderungen erklären sich von selbst, andere sind ziemlich schwierig. Die Polen müssen seinerzeit bei Verteilung der Konsonanten heftig »hier« geschrien haben unter Verzicht auf Zuteilung von Vokalen. Unsere Stopps auf der Durchreise-Route Polen haben wir jeweils hinter den Großstädten liegend geplant. Hundevergnügen ist nun mal eher im Ländlichen gesichert. Außerdem ist uns die Gewissheit, uns bei Weiterreise nicht direkt durch morgendliches Großstadtgewühl wurschteln zu müssen, einfach angenehmer.

Alles Gute kommt nicht immer von oben

Hinter Breslau verlassen wir die Autobahn. Sofort werden die Sträßchen enger, schlechter, entgegenkommende Fahrer grüßen. Unser Ziel ist der Kirchplatz im kleinen Dorf Domaszcyn, und wir kommen mit Gruß vom herbei eilenden Pfarrer zwischen einer mächtigen Eiche und einem alten Zwetschgenbaum im Schatten der Dorfkirche zum Stehen. Kirche und Segen gehören ja unabdingbar zusammen, ganz besonders in Polen, und dass uns der Segen quasi hautnah ereilt, erleben wir am nächsten Morgen. Es ist Sonntag. Endlich der Koje entstiegen, sehen wir noch gerade so, wie der Pfarrer im vollen Ornat eiligen Schrittes einen langen Wedel in eine silberne Schale eintaucht, von Fahrzeug zu Fahrzeug saust und diese mit kräftigem Schwung und Schwall segnet vor den andächtigen Augen der zahlreichen umstehenden Besitzer. Bazou und Chianga wohnen der Zeremonie aufrecht sitzend auf den Vordersitzen bei, erhalten im Schutze der Windschutzscheibe auch reichlich Weihwasser.

Der Platz am Wasser, den auch die Mücken lieben

Mit gesegneten Hunden und ebensolchem Womo können wir getrost weiterziehen und durchfahren vor und hinter der Weichsel-Querung sehr beeindruckende Schallschutztunnel auf hochmoderner AB mit tadellosem Belag, was sich aber schlagartig ändert nach Abfahrt hinter Warschau. Fahrer Wim hat nicht Augen genug, er muss höllisch aufpassen, tückische Bodenwellen und Schlaglöcher sind gemein, verstehen so gar keinen Spaß.

So sind wir froh, bald in Pokrzywnica auf dem »Agroturystyka Zabi Raj« am See anzukommen. Vorbei an Eselchen und Ziegen blicken wir auf ein gemütliches Blockhaus und eine schön angelegte Campingwiese mit ein paar Gästen. Nach Anmeldung bei der freundlichen Hausherrin haben wir freie Wahl. Wir wählen den unterhalb am See liegenden Wiesenstreifen. Wenn sich nun noch die Mücken beherrschen, von denen Polen-Erfahrene immer berichten, ist das Glück vollkommen, zumindest für heute. Erstaunlicherweise müssen im Womo nur wenige Exemplare am Abend ihr Leben lassen. Nach dem Spaziergang in der Dämmerung achten wir penibel darauf, dass möglichst keine Stechmücken die Hunde als Transportmittel missbrauchen, um sich so ins Innere des Womos zu schmuggeln. Beim Reinklettern zwängen wir die Hunde förmlich durch eine Handtuchschleuse, um mitreisende Flugobjekte abzustreifen. Scheint zu wirken.

Der nächste Tag wird zum Faulpelz-Bade-Tag erklärt. Zwischen aufspringenden Fischen lässt es sich im See vor der Tür hervorragend dümpeln und die Schwüle ertragen. Auch Bazou lässt sich nicht lumpen, dreht schwimmend einige Runden, während Chianga sich auf kneipp‘sche Bäder bis Unterkante Bauch beschränkt. So ein Platz am Wasser ist und bleibt einfach die Krönung, wobei natürlich die kleinen sandigen Bereiche um den See herum, in denen die Hunde ihre 5-Minuten-Spielchen zelebrieren, die Wildblumenwiesen mit allen möglichen herumschwirrenden Insekten und die ungestörte Ruhe alles noch unwiderstehlicher machen.

Die ersten Eindrücke

Bei Weiterreise verabschiedet uns die Besitzerin sehr herzlich, drückt mir ein blütenweißes selbst gehäkeltes Häschen in die Hand und winkt uns lange nach. Auf einer Bundesstraße, auf der der gesamte Lkw-Verkehr ins Baltikum donnert, durchfahren wir sehr dünn besiedeltes Gebiet und nur wenige Ortschaften. Scharen von Störchen staksen in der von Seen und Flüssen durchzogenen Landschaft herum. Dazwischen liegen eingestreut wie gemalt hinter üppig blühenden Stauden kleine Gehöfte, vielfach Holzhäuser, ein paar Kühe, bunt geschmückte Wegkreuze passieren wir quasi vor jedem Ort.

In den größeren Städtchen fallen uns die sehr gepflegten und gärtnerisch gestalteten Vorgärten mit wunderschönen Kunstschmiedezäunen und tadellosen großen Häusern auf. Die Häuser sind oft in einem sehr viel besseren Zustand als z. B. die Nebenstraßen dorthin. Das spricht doch sehr für die Menschen, die sich ihr Zuhause schön gestalten wollen und fleißig daran arbeiten, aber die öffentliche Hand, wer auch immer das sein mag, hinterher hinkt. Es sind jedoch nur allererste Eindrücke im Vorbeifahren. Jede Region wird, wie in anderen Ländern auch, ihre eigenen Bilder zeigen. Wir sind gespannt, welche wir noch »bannen« können.

Unter Klostermauern

Höhe der grenznahen Stadt Suwalken machen wir Station auf einem CP auf einer Landzunge an einem der vielen Seen in Polens jüngstem Wigierski-Nationalpark mit 40 teilweise miteinander verbundenen Seen und einer einzigartigen Gewässerlandschaft mit Inseln, Buchten und Mooren. Hier sollen Polens sauberste Seen liegen.

Am Fuße eines hoch aufragenden, burgartigen barocken Klosters in Himbeerjoghurt-Rosa schaukeln wir auf die zum Seeufer hin abfallende Klosterwiese mit alten knorrigen Obstbäumen und werden früh am nächsten Morgen von einer vom Klosterturm tönenden Fanfaren-Melodie geweckt. Wir folgen dem Ruf und schauen uns das in der Morgensonne strahlende Kloster näher an.
Alles lässt sich problemlos in Begleitung der Hunde erkunden, auch die am Fuß des Klosters an den Ständen der Händler ausliegenden Artikel wie Schmuck, Souvenirs, Honig, Marmeladen, Selbstgebackenes und Eingewecktes. Baumkuchen und Kuchen mit kandierten Früchten sind übrigens köstlich, wie auch unsere beiden finden, nachdem sie das ihnen von der polnischen Frau mit dem freundlich-mütterlichen Gesicht zugeworfene Bröckchen dankbar ergattern konnten. Empfehlenswert ist auch die Einkehr im kleinen blumengeschmückten Lokal am Platz, das Lecker-Deftiges für Frauchen und Herrchen bereit hält.

Mein lieber Schwan …

Polen verabschiedet uns mit schönen Ansichten, einem guten Gefühl, viel Lust auf mehr und entlässt uns sehr unspektakulär an einer schäbigen Zollstation am Grenzübergang in die »Lietuvos Respublika«. Litauen, da sind wir. Landschaft und Ansichten ändern sich kaum, sieht man davon ab, dass die in Polen auffallend tollen Dächer auf den Häusern hier auf dem ersten Stück in Litauen fehlen. Wir lassen uns am Ortsrand von Kaunas im lichten Kiefernwald an einem See auf einem kleinen CP nieder. Natürlich ist ein Stadtplatz alles andere als beschaulich, rundum laufen Straßen, Lärm ist unüberhörbar, aber wichtig für uns ist, dass wir mit Rad und Anhängern das Zentrum schnell erreichen und die Hunde auf den angrenzenden Memelwiesen ausgiebig sausen können. Am breiten geschichtsträchtigen Fluss Memel mit seinen urwüchsigen Wiesen und den anliegenden schnuckeligen Häusern entlang stehen wir schnell im Zentrum vor der imposanten Burganlage. Die Farben strahlen mit dem Himmelsblau um die Wette. Es färbt auf die Menschen ab. Wir blicken in offene, freundliche Gesichter, Kinder toben vergnügt auf den vielen Spielplätzen, Jugendliche bevölkern die Sandplätze, überall stehen gut besetzte Parkbänke zum Verweilen.
Auf dem gepflasterten Platz vor dem »Weißen Schwan«, wie das märchenhaft schöne Rathaus in Kaunas auch genannt wird, tummeln sich scharenweise Hochzeitsgesellschaften im besten Zwirn, werden mehr und mehr, alles ist verzückt im Liebestaumel, der blaue Himmel hängt voller Geigen, Sektempfänge werden gerichtet, man zelebriert. Das Durchstreifen der Altstadt hingegen ist nicht in allen Bereichen so pompös. Die unverkennbar vorhandenen Spuren des Sozialismus und der Kriegszeiten sind zwar in Bearbeitung, aber es wird dauern. Letztlich können sie unseren positiven Eindruck auf den ersten Metern in Litauen nicht schmälern, im Gegenteil, sie geben Denkanstöße.

Mit Spannung und Entspannung mittendrin im Memelland

Solche stellen sich auch ein auf der folgenden Route 141 entlang der Memel (litauisch: Nemunas). Landestypische Neubauten stehen zwischen ursprünglichen bunten Holzhäuschen, Vorliebe für Farbe wird sehr deutlich. Es sind die Ansichten, die wir erhofft haben. Der breite Strom, der an zwei Stellen die Außengrenze Europas bildet, fließt zügig Richtung Meer, vorbei an Wäldern aus Föhren und Birken. Einfach fantastisch, wie Ufer und Flussbett der Natur überlassen bleiben und hoch über dem tief eingegrabenen Flusslauf trutzige Türme alter Schlösser, Kirchen und Burgen über die Baumwipfel gucken. Einiges gäbe es unterwegs zu besichtigen auf dieser Strecke, die die Schönste in Litauen sein soll, wie uns ein älterer Mann später versichert, während er die Hunde tätschelt und uns mit großer Herzlichkeit in seinem Land begrüßt.

Die Freundlichkeit erleben wir auch auf dem angesteuerten CP in Jurbarkas direkt am Ufer der Memel mit endlosen Gassi-Geh-Möglichkeiten. Mit Schilfbüschel vor der Nase und ansonsten freiem Fluss-Blick lassen sich die vielen Störche beobachten und die auf den Sandbänken in den Fluten lebenden Vogelscharen. Von gut gelaunten Menschen abends umringt, wird zur Musik einer Blaskapelle gefeiert. Wir verlassen unsere Schlafstelle am Strom und ziehen weiter Richtung Memel-Delta und Küste, dorthin, wo sich die Grenze zur russischen Oblast Kaliningrad mitten durch den Strom bis zur Ostsee zieht. Die Bebauung zeigt jetzt ein sehr gemischtes Bild: litauische Holzhäuser, gemauerte Häuser, Fachwerkbauten, seelenlose Plattenbauten – Zeugen einer durch schreckliche Zustände ausgelösten Veränderung der Bevölkerung.

Über unsere erste Piste – eine nicht asphaltierte, aber stabile geschotterte Straße, von denen es im Baltikum sehr viele gibt –, hangeln wir uns entsprechend dem Navi-Befehl »der Straße folgen« durch den Uferdschungel der Atmata, einem Mündungsarm der Memel, der in antiker Zeit Teil des Handelsweges der Bernsteinstraße vom Mittelmeer zur Ostsee war, und landen auf einem beschaulichen Fleckchen im Garten eines Anwesens mit verschiedenen Blockhäuschen, zwischen denen wir direkt am Fluss stehen dürfen. Wein im Sonnenschein, Salami und Gebäck aus Litauen, ein herumeiernder Reiher – läuft bei uns, so alles im und am Fluss. Hier könnte man Tage ohne Aufregendes verbringen, die dennoch das Zeug dazu hätten, es in die Reihe der »Best-of« zu schaffen. Etliche Schiffchen schieben sich mehr oder weniger flott mit mehr oder weniger Gedröhne an uns vorbei durch die Fluten. Der Knaller ist ein kleiner Kahn in strahlendem Badeentengelb. Bunte Farben ziehen sich wohl durch das ganze Leben und Schaffen eines jeden Litauers.
Vollkommen ohne Erwartung und irgendwie entschleunigt radeln wir zur benachbarten »Insel« Rusené, ein von drei Mündungsarmen der Memel umflossenes und am Haff liegendes Landstück. Die Hunde flitzen längere Strecken leinenlos am Rad nebenher, hier ist so etwas gut möglich.

Vorbei an Stoppelfeldern und Weiden mit glücklichen Kühen, zwischen denen hier und da ein Wäldchen liegt, radeln wir übers platte Land. Holland lässt grüßen. Immer mal wieder erheben sich Deiche und ziehen sich weit dahin. Mit großer Regelmäßigkeit sind die Menschen hier im Frühjahr Überflutungen ausgesetzt, ist häufig »Land unter«. Zwar wird Tauwasser bei Schneeschmelze nach langer eiskalter Winterzeit ins nahe Haff gepumpt, aber da die Insel nur 1 m über Flussspiegel liegt, sind Überschwemmungen keine Seltenheit. Früher mussten – und vermutlich auch heute – die Dachböden zur Rettung herhalten: bei den Bauern als Stallungen für das Vieh und in der Kirche als Lager für die Särge – Gedanken und Tatsachen, denen das Thema Klimawandel eine ungeahnte grausame Vorstellung verschafft.

Nach einer kleinen Stärkung in einem feinen Landhaus begleiten uns, obwohl Bazou und Chianga aus ihren Anhängern gucken, etliche elegant herumstolzierende Störche, wohl annehmend, irgendetwas fiele noch ab für sie. Aber nichts geht, das Lokal hatte ohnehin keine Froschschenkel auf der Karte.

Mit einem Besuch im »Venedig Litauens«, dem ganz zauberhaften winzigen Örtchen Minija mit einer Handvoll Häuser rechts und links am Ufer eines Nebenarms, endet unsere Erkundung des Memel-Deltas. Nach einer ruhigen Nacht im kleinen Hafen neben der trockengelegten »Jana« aus Cuxhaven rumpeln wir die kilometerlange Waschbrettpiste im Schneckentempo zurück zum Asphalt mit Ziel Hafen Klaipeda und Kurische Nehrung.

Alles nur noch ein Märchen

Voller Erwartung ziehen wir vorbei an den weitläufigen Hafenanlagen der großen Stadt. Wir erwischen die Fähre und landen gefühlte 10 Augenaufschläge später auf der Nehrung. In mir lösen sich Erinnerungen an die Erzählungen meiner Oma, die niemals hier lebte oder irgendeine Verbindung gehabt hätte, außer eben ihre Brüder, die der Krieg hierher befehligt hatte. »Die Kurische Nehrung« – geheimnisvoll und etwas bedrohlich, so hab ich den Klang dieser Worte im Ohr. Und es hallt nach. Jetzt. Aber meine Oma verband damit leider nicht die märchenhafte Legende, die sich um die Neringa rankt.

Es war einmal … leider ja – sicher war es einmal außergewöhnlich herrlich hier. Uns will sich die viel beschworene Schönheit der Nehrung jedoch einfach nicht erschließen, mehr noch: Die Entzauberung der Nehrung schreitet unweigerlich voran. Gut, das Wetter ist nicht ganz optimal, der einzige CP wenig aufbauend, nicht schön, dafür eng, die einzige Straße grottenschlecht mit Loch an Loch, alle Plätze zugeparkt, die kleinen Orte übervoll mit Touristen, und wir auch ein Stück weit desillusioniert, missgelaunt.

Nach einem kurzen Besuch der Grenzanlagen zu Russland unweit vom Campingplatz drehen wir eine Runde über die Promenade und durch den Ort Nidda mit seinen schönen Fischerhäuschen in der baltisch-skandinavisch typischen Farbe »Ochsenblut« und vorbei an sehr noblen »Farbklecksen« in Bestlage in leuchtendem Niddener-Blau. Hochpreisige Karossen deutscher Automobilhersteller mit litauischen Kennzeichen schmücken die Vorgärten. Es ist beinah unglaublich, was hier alles parkt und fährt. Hier im einst so genannten »schönsten Dorf der Sowjetunion«, das scharenweise namhafte Künstler anzog, muss man sehen und gesehen werden – und dies bitte nicht abfällig verstehen.

Mittlerweile weht es stark von Westen her. Den Hunden ist es einfach zu kalt. Solche Winde, sagen die Geologen, haben diese Landzunge entstehen lassen und geformt. Auf eine im Meer liegende Hügelkette wehte der Westwind nach der letzten Eiszeit stetig Sand über Jahrhunderte hinweg, und irgendwann hatte sich die Nehrung gebildet – ohne Neringas Schürze. Im heftigen, kalten Sturmwind nehmen wir gerade noch so das lockende Angebot einer Räucherfischbude wahr, ergreifen die Gelegenheit zum Abendbrot und tags drauf die Flucht per Fähre. Manchmal ist es eben so, wie es ist.

Ein Berg im flachen Land, aber was für einer

Aber rasch begegnet uns auch wieder das ganz besonders Schöne, das Spannende an Litauen, der Gegensatz, wenn nämlich Charme, Lieblichkeit und Ursprünglichkeit rasant wechseln mit Betongrau, Ödnis und abgeranzten Bauwerken, und wir uns fragen, wer wohl die Farben geklaut haben mag. Nach einer Station an einem der vielen Seen im Nationalpark Zemaitija mit wunderbarer Radtour durch verwunschene Wälder ziehen wir weiter zu einem sehr bedeutsamen Ort, dem »Berg der Kreuze«.

Eine lange Weile sitzen wir nachdenklich auf einer Bank inmitten der Kreuze und lauschen dem sanften hölzernen Klappern, den Melodien des Windes und seinen »Instrumenten«. Tausende Kreuze sind es, mit Inschriften aus aller Welt, unvorstellbar viele Varianten, Holz, Metall, Stein, von winzig bis meterhoch, mit Kreuzanhängern und Rosenkränzen behangen. Alle scharen sich um eine Mutter Gottes Statue.

Das Einläuten der Rückreise

Nach all den aufwühlenden Eindrücken kommt den Hunden und uns der Picknickplatz am See knapp vor der Grenze zu Lettland sehr gelegen. Es ist einfach vorbildlich, wie herrlich man in Litauen Freizeitbereiche für Menschen herrichtet mit Sitzgruppen, Umkleiden, Mülleimern, Plumpsklo, ja sogar Kaffeeautomaten und Skulpturen. Das kann man gar nicht genug loben. Und sie werden genutzt, und man hält sie total sauber. Kein Müll liegt herum, nichts! Freundlich grüßende Leute spazieren, baden und grillen, und das nicht nur an Wochenenden. Ich las, ein abendliches Baden im See gehöre für die Menschen hier zum Tagesablauf.

An dieser Text-Stelle drehen wir vorm Grenzübergang zu Lettland erst einmal ab und beschreiben die Rückreise. Natürlich konnten wir Lettland und Estland nicht widerstehen und haben »in einem Rutsch« auch diese beiden Länder auf der Suche nach ihren Reizen durchkreuzt. Und das sind einige, versprochen! Aber dazu in der nächsten Ausgabe mehr, viel mehr. Daher die Bitte an die Leser: Bleibt neugierig, es lohnt sich richtig!

Zeppelinklöße an Pfefferminztee

Dem Schild »Moskau 800 km« Nähe Zarasai folgen wir nicht, sondern fahren Richtung Heimat zu einem malerisch gelegenen historischen Mühlenanwesen, der »Šlyninka Mulinas«, eine Wassermühle aus dem 18. Jahrhundert, die bis heute in Betrieb ist. Das Mehl wird in die Umgebung geliefert, und außerdem wird hier etwas gebacken, nämlich Brot. Ein nostalgisches Gefühl überkommt einen sofort, Erinnerungen an Kindertage werden wie auf Knopfdruck wach, wenn man den Geruch der Mühle aufnimmt, zwischen all den liebevoll arrangierten Altertümchen drinnen und draußen. Und ein kleines Restaurant gibt es auch. Für Mühlenbesucher, die gerade mit einem kleinen Touristenbus angekarrt werden, ist schon eingedeckt. Sicher spazieren in der Hochsaison Scharen von Gästen durch die Mühle und rundum.

Später am Abend sitzen wir als einzige Gäste in der Gaststube. Flott werden wir bedient. Die junge Frau bietet für uns Unverständliches an. Keine Ahnung, was sie meint. In ihrer Verzweiflung schnappt sie sich eine bebilderte Karte, aha, nun können wir eher zuordnen, was sie uns offeriert. Viel Auswahl gibt es nicht. Wir wählen die litauische Spezialität schlechthin: mit Hack gefüllte Kartoffelklöße »Cepelinai« und zum Dessert einen »Pancake«, wie es irritierend modern heißt, gefüllt mit Hüttenkäse. Wir bestellen 2 Bier, erhalten komischerweise 2 Tee, Pfefferminz. Also das verstehe wer will. Ich könnt‘ mich schlapp lachen, während Wim das Lachen vergangen ist, da er ein zischendes Bierchen schon sehr ersehnte. Quasi als Gruß aus der Küche werden uns ein paar Plätzchen, süß und salzig, gereicht. Es folgen die leckeren Knödel. Auch der Pfannkuchen ist gut. Alles ist einfach, sehr einfach, aber typisch und lecker. Wir gönnen uns noch 2 Wodka, die Wim durch Zeigen auf die Flasche exakt bestimmt und bekommt. Auf einem kleinen Tellerchen serviert man uns noch 4 Erdbeeren und 4 Scheibchen Banane, luftgetrocknet aus dem Dörrautomaten und sehr aromatisch und die Rechnung: 19,10 € sind zu zahlen. Also wahrhaftig günstig. Ich muss immer noch lachen, und Wim freut sich auf sein Bierchen im Womo.

Im Schatten der Burg

Der nächste Morgen gaukelt bei klirrekalten 6 Grad und strahlendem Himmel beste Voraussetzungen für Sightseeing Vilnius, das wir heute erreichen wollen, vor. Ein Großteil der Hauptstrecke ist in grausig-achsbrecherischem Zustand. Die wirklich schöne hügelige Landschaft mit großen Ackerflächen, Höfen und alten Bauernkaten, die sich in kleine Senken ducken, entschädigt etwas. Hin und wieder huscht ein Reh durch die Lande oder ein riesiges Kreuz am Straßenrand lässt aufblicken. Zum miserablen Straßenzustand passen der mittlerweile aschgraue Himmel und Regengüsse ohne Ende bei 4 Grad, aussichtslos und uninteressant, einen Besichtigungsstopp einzulegen. Optimistische Planungen hin oder her: Vilnius wird abgeblasen. Das Risiko, dass uns die Ohren abfallen und die Hunde in den Hängern in gefrorene Schockstarre sinken, ist unverantwortlich groß. Vilnius läuft nicht weg und kann auch in einem anderen Jahr besucht werden.

Wir peilen das in der Nähe liegende Trakai mit seiner spektakulären Burganlage an. Auf einem PP landen wir, direkt an der Vergnügungsmeile. Zwischen nicht enden wollenden Regenschleiern mit unverändert eisigen Temperaturen tut sich ein nobles Restaurant mit vollem Burgblick auf, in das wir uns retten und vorzüglich lecker speisen. Es gibt nämlich etwas zu feiern, und der Tag findet so ein wunderschönes Ende.

1 x Seen-Platte für 2 Personen mit Hunden bitte

Mit absolut schlechtem Wetter und totaler Unlust, sich ins Freie zu bugsieren, starten wir in den neuen Tag. Folge ist, dass auch Trakai unbesichtigt bleibt, und wir lieber unser Glück in Polen suchen, in das uns zwei Polizisten an der Grenze anstandslos durchwinken. Über die Straße Nr. 16 ziehen wir dahin durch wirklich herrliche Wälder in Richtung Elk, dem Tor zu Masuren. Alles wirkt sehr viel anders als auf unserer zurückliegenden Route. Bald tauchen riesige bunte Wohnsiedlungen mit unzähligen hohen Wohnblöcken auf. Man merkt, der Westen naht. Entsprechend kurz fällt unser Besuch in Elk aus, und wir hoffen, es am nächsten Ziel in Malbork für uns passender anzutreffen.

Die Fahrt dorthin führt durch viele Örtchen, eingebettet in sanft hügeliger Welt, in der die Erdmassen oft wie zusammengeschoben und in weiche wallende Falten gelegt aussehen, mit unzähligen Seen und Wasservögeln, logisch, wir bewegen uns ja auch auf der Masurischen Seenplatte. Sucht man hier einen SP, wird man aufpassen müssen, denn zum einen sind die Ufer der Seen oft unterhalb, was bedeutet, es kann sehr abschüssige Anfahrten geben, zum anderen sehen manche SP, die man sich aus den überall zuhauf auftauchenden Hinweisschildern rauspicken kann, nicht so einladend aus. Diese touristisch stark frequentierte Region lässt schon seltsame Verhältnisse zu. Da bedeutet »Agrartourismus« schon mal auf schlammigem Boden hinterm Misthaufen und zwischen Scharen polnischer Hafermastgänse, die das nächste Frühjahr wohl nicht mehr erleben, Quartier zu machen.
Der Landstrich an sich jedenfalls entspannt irgendwie sehr, sieht man vom Fahren – oder besser: Manövrieren – eines Womos über schmalste Alleen mit zahllosen Engstellen auf unterirdisch schlechtem Asphalt ab. Wankelmut ist hier absolut fehl am Platz, ein Schaukler, und es kostet die Markise. Bei entgegenkommenden Lkw – ja echt, die fahren hier wirklich – hat man kaum Wahlmöglichkeiten. Meist bleibt nur ein »Augen zu und durch«. Fahrer und Beifahrer werden auf sehr harte Proben gestellt. Da reihen sich schnell mal stille Phasen an sehr stille, und für eine Lektion »Anti-Aggressionstraining« könnte man sich auch anmelden. Alle Register werden gezogen, dennoch »eine schöne Fahrt, eine schnelle Fahrt, steigen Sie ein, steigen Sie zu, hier wird was geboten«. Und in der Hundeecke herrscht Stille. Sie wissen sehr genau, wann es ratsam ist, einfach die Schnauze zu halten.

Vorbei an riesigen Ausbaustrecken für mehrspurige Straßen mit Schallschutzwänden und allem, was dazu gehört, die sich wie tiefe Narben durch Wälder und Felder ziehen, vermutlich aber nötig sind, um in Saisonzeiten die touristischen Blechlawinen aus den angrenzenden kollabierenden Örtchen fernzuhalten, können wir nur einen ersten, aber schönen Eindruck von Masuren gewinnen und erreichen ein in der Abendsonne strahlendes Malbork mit fantastischer Skyline. Mit Blick auf die gewaltige Burganlage genießen wir unser Wiesenplätzchen am See, quasi im Schatten der Burg, die wir am nächsten Tag bei bestem Wetter ausgiebig radelnd umrunden.

Geteilte Ansichten

Unsere Weiterreise führt über das natürlich sehenswerte Danzig an die Ostseeküste nach Leba und überflutet uns, im Gegensatz zur Hinreise quer durchs Land, mit »Unstimmigkeiten«, die uns irgendwie mit jedem Kilometer den Reiz Polens nehmen. Die Bebauung zeigt zu viel krasses Neues, zu viel Prunk und Protz jenseits unserer Vorstellung, »Schöner Wohnen« was der Markt hergibt, hier wird nicht gekleckert. Unmittelbar daneben und dazwischen liegen zu viel miserabel Altes und heruntergekommene Siedlungen, Armut in maroden Behausungen wird greifbar. Selten sind Nebenstraßen asphaltiert, jede Lücke gespickt mit Autos, Autos und nochmal Autos, Werbeplakatwänden und gelben Absperrzäunen ohne Ende. Müll türmt sich zu Bergen auf – und mittendrin riesige Kreuze und Marienaltäre – wie zum Hohn. Was erwartet man von Jesus und Maria? Alles in allem ein wirres seelenloses Durcheinander. Hier müssen wir erst mal in uns sortieren, es überfordert extrem, fällt schwer und macht sehr traurig.

Das ändert sich leider auch nicht bei unserer nächsten Station in Leba. Authentizität? Null. Atmosphäre? Null. Gut, einschränkend müssen wir sagen, dass hier natürlich Scharen von Urlaubern eine quirlige, auf Spaß und Halli-Galli für jede Altersklasse ausgelegte Urlaubsregion suchen, und diese auch zu 110 % finden. Sie wollen abschalten und suchen Vergnügen. Nur in der Hauptsaison sehen wir hier keinen Hundehalter aufgehoben. Schön? Das geht anders, ganz ganz anders, auch in Polen. Aber Geschmäcker sind verschieden, und letztlich findet wohl jeder sein passendes Plätzchen. Jedenfalls werden wir Polen später irgendwie »verdauen« müssen, was den auf der Rückreise durchfahrenen Teil anbelangt. Und nach einem kurzen Stopp inmitten von Stechmückenschwärmen am Stettiner Haff streichen wir die Segel.

Rolling home

»Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin.« Gesagt – getan. Kurz darauf hat uns unser Heimatland wieder und die Reise endet mit einem fulminanten Finale, denn dem rasanten Hopping mit Rad und Hänger kreuz und quer durch Berlin von einem Must-see-Point zum anderen folgen eine 2-Tages-Runde in und um Potsdam, die schlichtweg den Atem verschlägt, ein ausgiebiger Besuch der Schönheiten Magdeburgs, ein Einkehrschwung in Lautenthal im Harz beim »Schnitzelkönig« und eine Stippvisite im Fachwerkschmuckkästchen Soest, bevor wir zur Freude der Familie endlich wieder im Heimathafen in der Vulkaneifel einlaufen. Schön war’s – bunt war’s. Und Bazou und Chianga nicken.

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